Der Autor

hEINZ g. kONSALIK

Ich über mich

Über sich selbst zu sprechen, ist immer eine fatale Sache. Wer kennt sich schon so genau, um gegen sich selbst objektiv zu sein? Entweder wird das alles ein eitler Gesang, oder es gibt so wenig her, dass der Leser enttäuscht sagt: Na, und das ist alles? Oft wird gefragt (eine Standardfrage aller Interviewer): Wie schreiben Sie? Warum schreiben Sie: Woher nehmen Sie Ihre Themen? Und man erwartet einen fast okkulten Einblick in das Geheimnis einer Schriftstellerseele, denn wer dicke und zudem auch noch erfolgreiche Bücher schreibt, muss eine besondere Spezies Mensch sein.

Ich muß enttäuschen. Das Schreiben ist ganz einfach: Man setzt sich an eine Schreibmaschine (ich diktiere nicht auf Band und beschäftige keine Sekretärinnen), spannt einen Bogen Papier ein, holt tief Luft und tippt los. Von da an gibt es keine Arbeitszeit mehr (vielleicht misstrauen Schriftsteller deshalb den Gewerkschaften), der Zigarettenkonsum steigt, die Familie schleicht durch das Haus, weil Lärm das Dynamit für die Konzentration ist, die Ehefrau erinnert sich an den Engel Gabriel, der die Pforten von Eden bewachte, und wenn der Autor dann irgendwann am Abend sich wieder ins tägliche Leben eingliedert, ist er müde, brummig und fern aller Gloriole, mit der man das Geheimnis Schöpfung so gern umkleidet.

Unzufrieden? Die Arbeitsweisen der Autoren sind so verschieden wie ihre Gesichter. Es gibt da keine Norm. Nur eines sollten sie alle gemeinsam haben: eine ungeheure, alles beherrschende Selbstdisziplin. Sie ist das Fundament, Die Begabung, die Phantasie, die Gabe, aus dem Geist Leben zu schaffen, hat Gott mitgegeben sie zerfällt, wenn man sie nicht einklammert mit der Beherrschung des Ichs und sie einkleidet mit einem — zugegeben von Tag zu Tag neu zudiktierten Fleiß.

Ein Buch schreiben, das ist nicht nur Idee und Handlung (ich rede vom Roman, etwas anderes habe ich kaum geschrieben) es ist auch das Studium der Materie. Das ist die stille Zeit vor dem Schreiben, die Zeit, in der die Nachbarn sagen: Der hat’s gut. Läuft herum und verdient trotzdem genug! Es gibt Bücher bei denen ich zwei Jahre intensiv die Problemstellung des Themas studiert habe: bei dem Roman über die Krebstherapien oder dem Roman über die Psychiatrie, dem Roman der plastischen Chirurgie, des Alkoholismus, der Herzchirurgie. Und es gibt Romane, die beschäftigen einen in der Stille über Jahre hinweg, bauen sich auf aus Erinnerung und Wunsch, Liebe zu einer Sache und Kritik an Erstaunlichem wie die Russland Romane ! Und es gibt die unmittelbaren Erlebnisse, die den Autor drängen, in eine literarische Form gebracht zu werden – wie  der Israelkrieg oder die Entführung eines Flugzeuges. Alles, was Leben heißt, ist der ungeheure, nie versiegende Brunnen, aus dem ein Autor schöpft. Wie in der Musik alles ein Ton, ein Takt, eine Melodie wird, so wird bei einem Autor alles zu einem  Wort, einem Satz, einer „Aussage.

 Das ist wunderbar. Spielt es eine Rolle, ob man wie in einem Rausch schreibt (das romantische Bild des alles vergessenden Künstlers) oder ob man um jedes Wort, jeden Satz ringt und Seite um Seite aus sich herausklopfen muss wie ein Bildhauer die Form aus einem Granitblock? Wichtig ist nur, was nach Wochen (oder Jahren) der Mühe auf dem Tisch liegt und hofft, dem Leser zu gefallen. Denn der Leser ist der Vertraute des Autors. Ihm offenbart er im Wort vieles, worüber er sonst nicht reden würde.

Der eine versteht es, der andere nicht. Es ist wunderbar ausgedacht, wie Gott die Menschen geschaffen hat, denn wären wir alle gleich, gäbe es keine Schriftsteller mehr, die von den verschiedenen Menschen erzählen könnten.

Warum ich schreibe? Sagen wir es ganz simpel: Weil es mich glücklich macht, von Mensch zu Mensch zu sprechen.

 Buchreport, 29. 11. 74