Konsalik - die Leidenschaft des Erzählens

Paris, Ostern 1978.

Wir haben den trotz schlechten Wetters von Touristen umlagerten Eiffelturm hinter uns gelassen und eilen auf der Avenue de Ja Motte Piquet zur nahen Metrostation. Nahe dem Boulevard de Grenelle liegt auf der linken Straßenseite eine Buchhandlung; gewohnheitsmäßig streift der Blick über die in den beiden Fenstern ausgestellten Titel, über das Zeitschriftenangebot neben der Tür und über die Taschenbuchständer, die in Reihe bis auf das Trottoir hinaus  stehen.
Etwas Ungewöhnliches – zunächst noch nicht in voller Bewusstheit erfasst – lässt das Auge verharren – dann staunendes Erkennen: einer der Taschenbuchständer bietet nichts als Konsalik Romane an. In Riesenlettern leuchten die acht Buchstaben von den grellbunten Titeln; da finden sich in französischer Übersetzung »Das Herz der 6. Armee« neben „Natascha“ und  „Zwei Stunden Mittagspause“, die beiden Bände „Wer stirbt schon gerne unter Palmen . . .“ neben „Das geschenkte Gesicht“.

Eine bemerkenswerte Tatsache: einer der erfolgreichsten und beliebtesten Unterhaltungsschriftsteller in Frankreich ist ein Deutscher. Fast alle bisher erschienenen Konsalik Bücher gibt es zumindest in einer, meist in mehreren französischen Ausgaben. Und praktisch alle Neuerscheinungen des Erfolgreichen werden von unseren linksrheinischen Nachbarn binnen Jahresfrist übernommen.
Und wie in Frankreich, so wird er bei uns wie in aller Welt geführt: der „Konsalik“,  sozusagen  ein Markenartikel  im Bereich der unterhaltenden Literatur. Seit er 1956 mit dem „Arzt von Stalingrad“ gleichsam über Nacht weltbekannt wurde, wuchs ihm eine Millionenleserschaft zu, die – so scheint es – dankbar alles entgegennimmt, was aus den Tasten seiner Schreibmaschine hervorgeht.

Dass ihn dabei die Kritik eher links liegen lässt oder dass angesichts der Vielzahl seiner Romane ein DDR-Autor behauptet, hinter Heinz G. Konsalik steckten in Wahrheit drei Autoren, damit kann er angesichts seines Erfolgs leben. Freilich, wenn er auch vorgibt, deutsche Kritiker nicht zu beachten, und auf positive Stimmen im Ausland verweist – die Missachtung im eigenen Land wurmt ihn dennoch, und er meint: „Für einen deutschen Autor ist es ein masochistisches Vergnügen, sich um die Kritik in Deutschland zu kümmern. In jedem Land wird der erfolgreiche Autor respektiert, in Deutschland macht ihn der Erfolg von vorneherein fragwürdig.”

Worauf  aber beruht Heinz G. Konsaliks Erfolg?
Drei wichtige Komponenten  sind es vor allem, die Konsaliks Schaffen inhaltlich und im „Klima“ bestimmen:Einmal ist da die Medizin. Nach dem Willen des Vaters sollte er Arzt werden, belegte auch einige Semester Medizin in München, gab das Studium jedoch bald wieder auf. Ihn zog es ans Theater, sein Traumberuf  war Dramaturg. Dass es schließlich beim Wunsch blieb, daran war der Krieg schuld – der wiederum brachte  ihn  zum  Schreiben. Er wurde  Kriegsberichterstatter. Doch seit dem abgebrochenen  Studium fesselt  ihn ärztliche Kunst, verfolgt ihn wie ein Trauma. Konsalik beschäftigt sich unablässig mit den Neuerungen auf den verschiedensten medizinischen Gebieten und hat sich ein solides Fachwissen angeeignet, das er mit Hilfe einer gutsortierten Spezialbibliothek in seinem Arbeitsraum,  wenn nötig, ergänzen kann. Ein Grund für den Erfolg seiner Romane dürfte in der genauen, fast pingeligen Recherche zu suchen sein. Aufenthalte in Krankenhäusern und Irrenanstalten, Anwesenheit bei schwierigen Operationen verschafften ihm die Eindrücke, die es ihm ermöglichten , Atmosphäre zu schaffen. Das Thema „Arzt und Patient“ ist von ihm schon in mannigfacher Weise behandelt worden – seine Schilderung erscheint immer glaubhaft. Freilich wählt er sich auch die publikumswirksamen medizinischen Probleme, die der möglichen Krebsheilung etwa oder der Wiederherstellungschirurgie, beispielsweise im Roman »Das geschenkte Gesicht”, dem zwei Jahre währende Studien vorausgingen, und dessen fertiges Manuskript er schließlich noch einmal von einem Experten gegenlesen ließ.

Der zweite Faktor, der Konsaliks gesamtes Romanschaffen bestimmt ist das Erlebnis des Krieges und, eng damit verbunden, das „Erlebnis Russland“, das für ihn geradezu überwältigend sein muss – dies jedenfalls ist der Eindruck, den man aus seinen Büchern gewinnt. Ihm hat es die Weite des russischen  Landes  angetan,  die  Unwirtlichkeit  der  Taiga-Landschaft, das Schlichte und doch Tiefgründige der Menschen. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, dass die Erfahrung Russlands den Deutschen  Konsalik  entscheidend  mitgeformt hat.

Dass er sich da so einfühlen  konnte  und  kann, verdankt Konsalik zu einem wichtigen Teil sicherlich jenem Quäntchen „Osteuropa“, das seine Mutter aus dem Bulgarischen in die Familie eingebracht hat. Ebenso wichtig aber wie die angeboren Einfühlung ist seine Fähigkeit, das Erfühlte weitergeben zu können an das Publikum, etwa an seine ungezählten Leserinnen, die unter der Suggestionsmacht seiner Erzählung um Natascha oder Ninotschka bangen. Da liegt sicherlich eine seiner großen Stärken als Autor: dass er, der Massenproduzent, mitreißen kann,  dass er dabei aber dennoch keine Zeilen schindet, sondern immer diszipliniert bleibt in seinen Formulierungen, nicht ausufert wie so mancher andere, der seinen Vertrag zu erfüllen hat.

Und schließlich lässt sich ein solches schriftstellerisches Schaffen in derartiger, fast schon erschreckender Fülle wohl nur durchstehen, wenn der Autor sich getragen wissen darf von einem unverwüstlichen Optimismus.  Mag die Formel  von  der “rheinischen Frohnatur“ auch reichlich abgegriffen sein – auf Heinz G. Konsalik trifft sie jedenfalls zu. Nicht umsonst verbindet ihn mit Willy Millowitsch eine überaus herzliche Freundschaft. Und einer seiner sehnlichsten Wünsche ist es, demnächst für den Kölner Volksschauspieler ein Theaterstück schreiben zu können (der Titel liegt übrigens schon seit langem fest) – es wäre dies die Erfüllung eines alten Traumes aus Studententagen: der Sprung auf die Bretter, die (angeblich) die Welt bedeuten. Und wenn auch das schon wieder eine abgenutzte Formel,ein Klischee sein mag, so besagt dies nicht allzu viel angesichts des Autors Konsalik: auch bei ihm, in seinen Büchern, findet sich ja, was sich leicht als Klischee dingfest machen ließe. Doch er füllt es mit neuem Leben, nutzt Bekanntes, um desto leichter – und auf fesselnde Weise – auch komplizierteste Zusammenhänge (etwa aus dem Medizinischen) an den Leser weitervermitteln zu können.

Für viele Leser ist der Name »Konsalik« inzwischen ein Synonym für »Russland und Arztberuf«, beides oft zusammen in einem Roman. In der Tat gibt es wohl keinen Konsalik-Roman (wenigstens ist mir keiner bekannt), in dem nicht zumindest eine wichtige Nebenrolle von einem Arzt gespielt wird. Doch ergeben sich natürlich Zwänge, die einen Autor allmählich einengen, ihm ein Thema womöglich verleiden. Heinz G. Konsalik versucht, solchen Zwängen zu entgehen, indem er seit einiger Zeit reine Abenteuerromane  schreibt,  die – ob ihrer Spannung – beim Publikum ebenso »ankommen«  wie seine Russlandbücher. Die Themen entstammen oft dem Bereich der Tagesaktualitäten: Prag  1968; terroristische  Anschläge  oder Entführungen wie etwa während der Olympischen Spiele in München; der Jom-Kippur-Krieg; ein sich der Erde nähernder Komet (»Kohoutek«) usw. Aber auch hier: der Arzt als Ritter und Held der Humanität fehlt kaum je in diesen Büchern. Da ist etwa der alte Schiffsarzt Dr. Bender in »Haie an Bord «, der sich nach einem Überfall auf den Luxus-Liner „Fidelitas“ freiwillig den Terroristen und ihren vier Geiseln anschließt, mit ihnen leidet und ihnen zu helfen versucht. Oder da finden wir den Oberarzt Dr. Heinz Volkmar in „Das Haus der verlorenen Herzen“, der während eines Badeurlaubs auf Sardinien in die Gewalt der Mafia gerät und gezwungen wird, bei verbrecherischen Herztransplantationen mitzuwirken, konfrontiert mit der Frage, ob es einem Arzt erlaubt sein kann, ein Menschenleben zu opfern, um dafür ein anderes zu retten.

Nicht ganz so offensichtlich in seinen Romanen widergespiegelt findet sich ein weiteres Faible Heinz G. Konsaliks, das ebenso wie der Arztberuf oder das Schreiben sein Leben hätte bestimmen können: die Musik. Ihm ist die Stimme eines Heldentenor mit in die Wiege gegeben worden. Opernsänger hätte er werden können, noch heute singt er ab und an. Dabei ist seine große Passion die Musik Richard Wagners; und er und seine Frau Elsbeth sind häufige Gäste in Bayreuth bei den Festspielen. Mit der Wagner Familie fühlen sie sich eng verbunden. In Heinz G. Konsaliks Arbeitszimmer steht der Stuhl Wagners, auf dem der Meister einst in der Festhalle gesessen war: Als die alte Bestuhlung herausgerissen wurde, da erhielt der Wagner-Fan Konsalik dieses Stück Mobiliar – er hält es in hohen Ehren.

Heinz G. Konsalik ist in zweifacher Hinsicht ein Massenautor: er schreibt für ein überwältigend  großes Publikum, und sein Fleiß, seine Produktivität sind enorm.
Konsalik hat keinen falschen Ehrgeiz: er möchte nicht hochgeistiger Literat sein, kein Dichter. Er will erzählen, unterhalten, mitreißen, den Alltag vergessen machen . Man muss es ihm, dem „Kölner mit der russischen Seele“, zur Ehre anrechnen, dass er seine eigenen Grenzen kennt und dass er nicht krampfhaft versucht, etwas zu schaffen, was seiner Natur nicht gemäß wäre. Konsalik ist ein Erzähler aus Leidenschaft, ein Vollblutfabulierer, der es versteht, Anstöße aus eigenem Erleben umzusetzen in schriftstellerisches Schaffen; und zwar so umzusetzen, dass sich der Leser mit dem Ergebnis voll identifiziert. Ihn befriedigen Leserbriefe wie der des verzweifelten Ehemannes, der sich beschwert, dass seine Frau den Haushalt vernachlässigt und kein Essen auf den Tisch bringt, ehe sie nicht den neuesten Konsalik ausgelesen hat. Konsalik selbst sieht sein schriftstellerisches Vorbild in Michail Scholochow, dessen grandioses Epos „Der stille Don“ er von ganzem Herzen liebt.

Mit sonstigen zeitgenössischen Autoren möchte er sich ungern verglichen wissen. Er empfindet sich wohl selbst ein wenig als das „Phänomen“, das er in der Tat auch darstellt. Am ehesten sieht er sich in einer gewissen Verwandtschaft mit Hans Fallada – zweifellos ein Vergleich voller Anspruch. Doch sollte gerade bei einem Autor wie Konsalik nicht unbedingt literarische Qualität das ausschlaggebende Bewertungskriterium sein. Originelle Themenwahl ist in jenem Bereich der Literatur, in dem er sich vorzugsweise aufhält, von mindestens ebensolcher Bedeutung. Und dass Konsalik immer originelle, ausgesprochen publikumswirksame  Themen  anrührt – wer wollte das bestreiten?

Heinz G. Konsalik ist ein Autor, der mit Vorurteilen gegen sich und seine Romane leben muss; ein erfolgreicher Autor, der mit diesen Vorurteilen fertigzuwerden versteht und auch andere zu überzeugen vermag – ganz besonders im persönlichen Gespräch, bei dem seine persönliche Ausstrahlung viele Sympathien schafft. Es dürfte kaum ein Thema geben, mit dem er sich nicht schon einmal ausführlich beschäftigt hat – und sei es auch nur, um zu erkunden, ob sich da nicht neuer, reizvoller Stoff für ein Buch anbiete.”

Er kann hinreißend erzählen , sitzt man mit ihm beim Wein zusammen oder bei einem guten Mahl – und ebenso hinreißend schreibt er. Sollte man unter deutschen Autoren heute einen nennen, der wirklich beherrscht, ja besessen ist von der puren Leidenschaft des Erzählens-der Name Heinz G. Konsalik fiele einem unweigerlich ein.