Konsalik
Kurzgeschichten​

Von Dagmar Konsalik

Geschrieben hat mein Vater sein Leben lang. Den ersten Roman, über einen Indianerstamm, schrieb er mit zehn Jahren in ein Schulheft. In Mathematik hätte man ihn unterhalb eines Idioten angesiedelt, erzählte er uns später, aber Schreiben sei für ihn immer der Weg für alles gewesen, u. a. der Ausweg, um seine Noten aufzubessern. Für ihn war die Fantasiewelt, in die er sich versetzt hat, sein Lebenselixier. Und was das normale Leben an organisatorischen und schnöden Dingen bot, dafür hatte er später meine Mutter, die dann alles für ihn regelte. Wir sprechen von einer Zeit, als der verwundete Kriegsheimkehrer sich als Journalist verdingte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Zeit, in der er, neben Theaterstücken, Novellen, Artikel und Kurzgeschichten schrieb, sie regionalen Zeitungen, speziell im heimatlichen Kölner Raum, anbot und anfänglich immer wieder Absagen bekam. Eine Zeit, in der er froh war, wenn wenigstens hin und wieder sein Name klein unter einem Artikel stand und oft auch unter Pseudonym der ein oder andere Heftchenroman von ihm erschien. Wir sprechen von 1945 bis 1956, dem Jahr, in dem der Der Arzt von Stalingrad sein ganzes Leben veränderte und ihm zu internationalem Ruhm verhalf.

Mein Vater war felsenfest davon überzeugt, dass er ein erfolgreicher Schriftsteller wird. Das zeigen viele Briefe, die er seiner Mutter aus einem Internierungslager schrieb, vor allem einer, nach dem Tod seines Vaters: „Kleine Mutti, mach dir keine Sorgen, das ist jetzt eine wahnsinnig schwere Zeit, aber dein Heinz wird mal ein großer und erfolgreicher Schriftsteller, dann wird es dir an nichts mehr mangeln und du wirst glücklich und zufrieden sein und kannst ein herrliches Leben führen. Dafür werde ich sorgen.“ Wenn man solche Briefe findet, ist es schon bemerkenswert, festzustellen, dass er bereits in diesen jungen Jahren besessen davon war, Schriftsteller zu werden und ein erfolgreicher noch dazu. Man sagt ja, wenn man so sehr an eine Sache glaubt und so durchdrungen davon ist, führt das dazu, dass diese Dinge dann auch passieren. Wie mein Vater später eindrucksvoll bewiesen hat! – Jeder Experte für Psychologie und Coaching empfiehlt einem heutzutage, es genauso zu machen.

“Als mein Vater seine ersten Kurzgeschichten geschrieben hat, war ich nicht mal geplant. “

Aber zurück zu den Kurzgeschichten. Meine Mutter hat Gott sei Dank sehr akribisch das ganze schriftstellerische Œuvre gesammelt und aufbewahrt. Sie hat uns viel über diese Zeit erzählt, wo sie in Attendorn im Sauerland lebten, weil sie dort als Lehrerin arbeitete und mit ihren 250 Mark den Künstler – den Hungerkünstler, wie mein Opa seinen Schwiegersohn nannte – über Wasser hielt. Sie hat sich nicht beirren lassen, ganz egal was ihr Vater vom Schreiben hielt. Und deshalb hat sie ihren Heinz auch 1948 geheiratet, in einem geliehenen Kleid einer Freundin, weil sie kein Geld für ein eigenes hatte, und das Hochzeitsessen war Spinat mit Spiegeleiern und Kartoffeln.

Ich bin mir sicher, dass mein Vater unserer Mutter sehr dankbar war für ihren festen Glauben an seine Begabung, deshalb hat er ihr auch eine der Geschichten gewidmet, sie heißt Unser Fräulein Lehrer und hat sicherlich gewisse autobiografische Tendenzen. Sie haben sich allerdings anders kennengelernt, aber es hätte so sein können, denn die Art und Weise wie der Protagonist in dieser Geschichte agiert, ist sicherlich so, wie mein Vater vorgegangen wäre, um eine Frau zu erobern. Die Figur der Lehrerin war ganz meine Mutter: aus einem soliden Elternhaus, handfest, lebenserfahren und temperamentvoll.

Diese und 49 weitere Kurzgeschichten haben wir aus vielen zum 100. Geburtstag rausgesucht. Keine so leichte Auswahl, denn im damaligen Zeitgeist wurde anders geschrieben, die Betrachtungen der Welt und der gesellschaftlichen sozialen Zusammenhänge waren natürlich auch getragen von Moralvorstellungen und Ansichten über diverse Themen, ob ganz allgemein über die Welt oder das Frauenbild. Vor allem, wenn man für religiöse Hefte und Magazine schreibt. Und das liest sich dann manchmal auch ein bisschen seltsam. Aber das macht es gerade interessant, dass man sich in diese Zeit zurückversetzt fühlt, sie spürt, wenn man es zulässt. Es ist doch interessant zu sehen, wie viele Millionen Menschen heute aufwendig gemachte Serien aus den 50er-Jahren schauen, die uns faszinieren, weil wir in eine Zeit eintauchen, die uns – zumindest meine Generation – letztlich mitgeprägt hat. Meine Mitherausgeberin und ich haben manchmal stilistisch etwas eingegriffen, sehr vorsichtig sprachlich geglättet, so wie wir uns heutzutage ausdrücken, trotzdem ist es in dem Duktus geblieben. Alles andere wäre auch falsch. Noch dazu – das kann der Leser dann auch sehen –, weil wir die Originale teilweise mit abgebildet haben, ebenso wie Cover, Zeitungsausschnitte aus Kulturteilen und Feuilletons.

Die Geschichten sind heiter bis tragisch und viele bereits von Abenteuern in fremden Ländern geprägt, damals noch mit dem Finger auf der Landkarte, denn nach Kriegsende konnte er sich das finanziell gar nicht leisten. Seine erste Auslandsreise war allerdings schon 1953 für den Rheinischen Hausfreund, eine Zeitung im Kölner Raum, die ihn als Journalist und Bildberichterstatter für eine Reportage nach Algerien geschickt hatte. Die Menschen fingen wieder an, sich für andere Kulturen zu interessieren. Dazu gibt es auch ein herrliches Cover in diesem Buch, sein erster Kamelritt. Diese Reise – leider kenne ich keine Details, wie er da hingekommen ist – war der Grundstein dafür, dass er seine große Reiselust entdeckt hat. Später war ihm kein einziges Ziel zu weit, zu kompliziert, zu anstrengend. Er hatte den Drang, die ganze Welt zu bereisen und einen Großteil der Welt hat er letztendlich auch gesehen.

Die Illustratorin und Grafkerin des Covers,
Bianca Faltermeyer, bei der Arbeit an den Entwürfen.

Am Anfang hat mein Vater mehr heimische Gesellschaftsromane geschrieben, aber dann wurde, neben den russischen Romanen und den Arztromanen, die große Affinität zu spannenden, exotischen Themen in fremden Ländern ein weiteres Standbein in seinem schriftstellerischen Œuvre.

Ich persönliche liebe seine humoristischen Kurzgeschichten, seine spitze Feder, und so hat er auch geredet, wenn er uns eine Begebenheit aus dem Stegreif vortrug. Manche Geschichten, wie Meine Tochter Hexe, entsprechen durchaus Tatsachen. Unser erster Hund war ein Dackel – meine ältere Schwester Almut erinnert sich besser an ihn als ich – und die Art und Weise, wie dieser Hund den Haushalt total beherrschte, ist absolut wahr. Wir hatten immer Hunde und jeder dominierte vor allem meinen Vater. Die Hunde waren die einzigen, bei denen er, ohne zu murren, Platz machte, wenn sie auf sein Sofa wollten. Sie konnten ihn um den Finger wickeln, egal wie, bei Hunden war er ein Leben lang machtlos.

Als mein Vater seine ersten Kurzgeschichten geschrieben hat, war ich nicht mal geplant. Ich bin 1955 in Elspe, in der Nähe von Attendorn geboren, da habe ich noch laufen gelernt und dann sind wir auch schon ins Rheinland gezogen. Meine Erinnerung ist also nur an einen extrem erfolgreichen Vater, der nach dem Arzt von Stalingrad einen Bestseller nach dem anderen schrieb. Und damit einher ging der finanzielle Erfolg, der Wohlstand, es ging immer nur alles aufwärts. Ich bin somit ein klassisches deutsches Wirtschaftswunderkind. Ich kenne einen Vater, der immer nur geschrieben hat. Wenn die Türen zu seinem Arbeitszimmer im Haus geschlossen waren, dann waren meine Schwester und ich gedrillt, Papa schreibt, da haben wir nichts zu suchen. Das war wie Fort Knox und gehörte zu unserem Alltag. Das Besondere daran war, dass der Vater zu Hause arbeitete. Was dazu führte, dass er mich später, als ich auf dem Gymnasium war, auch von der Schule abholte. Wir wohnten ja auf dem Land und es gab keine guten Busverbindungen. Er hat das als Schreibpause benutzt. Da standen dann 30 Wagen mit den Müttern, die ihre Kinder abholten, und einer mit meinem Vater. Das war Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre eher ungewöhnlich, deshalb wurde ich von meinen Mitschülern auch gefragt: „Wieso holt dich dein Vater ab? Hat der keine Arbeit?“ Dann habe ich ganz empört geantwortet: „Natürlich arbeitet mein Vater, der schreibt.“ Darauf kam der Satz von einem Schüler, mit dem wir meinen Vater ein Leben lang aufgezogen haben: „Schreiben? Das ist doch keine Arbeit!“ Das hat er sehr humorvoll genommen, er war ja Rheinländer. Er hatte viel Humor, aber er war auch ein Vater seiner Zeit, durchaus charmant, aber autoritär.

Ich werde immer mal wieder gefragt, ob ich das Talent geerbt hätte, da ich als Produzentin in einem Beruf arbeite, der auch kreativ und dramaturgisch anspruchsvoll ist. Nun, ich bin wahrscheinlich in dieser Richtung nicht komplett unbegabt, aber ich bin keine Sekunde meines Lebens auf die Idee gekommen, selbst zu schreiben. Zu versuchen, mich als Tochter von Konsalik als Schriftstellerin zu etablieren, war immer indiskutabel.

Mein Vater war ein Workaholic, schon bevor das Wort überhaupt erfunden wurde. Das war sein Schlüssel zum Erfolg, wie er immer wieder betonte. Er war mit Recht stolz darauf, dass sein Name dem Bekanntheitsgrad gängiger Markenartikel nachkam und er zum Schluss zu den drei auflagenstärksten deutschen Schriftstellern gehörte. Es gibt bis heute niemanden, den ich kenne, der fleißiger war und mehr geschrieben hat. Er konnte ohne Schreiben nicht existieren. Als Kind interessiert man sich nicht wirklich dafür, was das bedeutet: Schreiben. Aber irgendwann fängst du an, dich damit zu beschäftigen, ob Schreiben wirklich Arbeit ist. Es durfte zunächst niemand aus der Familie vorher lesen, was er zu Papier gebracht hatte. Bis auf seinen Lektor, den Verlag und die Redakteure der Illustrierten, denn damals gab es noch den Begriff Vorabdruck. Vorabdrucke in den Illustrierten machten neugierig auf den Roman und wurden sehr gut bezahlt. Erst später, so im Alter von 15, hatte ich das Privileg, dass ich die Manuskripte zu lesen bekam, aus denen seine Bücher entstanden. Bei mir war Die Tochter des Teufels die Initialzündung, ein großer, romantischer Liebesroman aus der Zarenzeit, im verschneiten Sankt Petersburg. Als junges Mädchen war ich von solchen Romanen fasziniert. Heute schaut man Serien wie Downtown Abbey und Bridgerton, damals hat man gelesen und ich war hin und weg. Von dem Moment an nahm ich  bewusst Anteil an seinem Œuvre. Man könnte sagen, ab da war ich mit Konsalik auf eine ganz andere Art und Weise verbunden, eben nicht nur als mein Vater, sondern auch als der Autor, der mich in seine Welten entführte.

Ich habe ihn gerne gelesen, war aber später auch seine größte Kritikerin. Irgendwann ist unser beruflicher Weg ein gemeinsamer Weg geworden, ich ging in die Verlagsbranche. Als er 1999 starb, war mir absolut klar, dass ich das Werk von Konsalik am Leben erhalten möchte. So entstanden in den letzten Jahren viele seiner Romane als E-Books in einer Konsalik-Edition, irgendwann werden es vielleicht alle 164 Romane sein. Darüber hinaus wird es ebenfalls ab diesem besonderen Geburtstag endlich Hörbücher geben – wir starten mit Der Arzt von Stalingrad, gelesen von Götz Otto, und es werden viele folgen.

Etwas Neues von ihm zu veröffentlichen, wie diese gesammelten Kurzgeschichten, darüber bin ich sehr glücklich: Ich sorge dafür, dass er immer noch da ist! Und ich weiß, dass er sich darüber gefreut hätte.